„drunter und drüber“

Die Künstlerin Melanie Becker-Hoffmann nutzt Fäden als zeichnerisches Element und grafisches Gestaltungsmittel. ähneln sie doch Strichen und Linien. So entsteht auf den Leinwänden und Bildgründen eine Aufteilung von klar konturierten Flächen und Feldern. Konturen schaffen Struktur und bilden das Gerüst für die Arbeiten. Das wird bei den Objekten, die aus schwebenden Fäden bestehen, besonders deutlich. Denn diese Arbeiten haben sich von dem Bildgrund gelöst. Anstelle des Bildträgers ist eine scheinbare Schwerelosigkeit getreten.
Dieses Phänomen verleiht den Arbeiten Transzendenz, zumal sie ein lebhaftes Licht- und Schattenspiel erzeugen, das den Übergang zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Wirklichkeit andeutet. Denn „Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“, wie Paul Klee es einmal treffend formulierte.
Das haben diese Arbeiten mit der Glasmalerei gemein. Jedes Fenster in einem sakralen Raum transportiert die Botschaft „Transparenz = Transzendenz“. Das wird bei abstrakt gestalteten Kirchenfenstern besonders deutlich. Aber was haben die Fäden in den Arbeiten von Melanie Becker-Hoffmann mit Glasmalerei zu tun?
Melanie Becker-Hoffmann ist gelernte Glaserin und so ist der Werkstoff Glas bis heute in vielen ihrer Arbeiten präsent. Das kalt anmutende Glas tritt in Verbindung mit eher warm anmutenden Materialien wie Garn, Leinwand und Wachs. Das harte Glas wird von geschmeidigen Fäden umschlungen.

Seit nunmehr 8 Jahren praktiziert Melanie Becker-Hoffmann ihre spezielle Wickeltechnik. Dabei können die Fäden eine Länge von bis zu 6 Metern haben. Folgt das Auge dem Verlauf der Fäden zeigt sich auf den ersten Blick ein ziemliches „Drunter & Drüber“. Bei näherer Betrachtung der Werke sticht ins Auge, dass jede Arbeit äußerst akkurat gefertigt ist. Je genauer man hinschaut, umso mehr begreift man, dass diese endlos anmutende Wickelei eine meditative Note besitzt. Wie lange kann ich mit dem Auge dem Fadenverlauf folgen, bevor mich die Konzentration verlässt oder der Faden sich im Dickicht der anderen Fäden verliert?
Diese Art der Werkbetrachtung, die ein Nachvollziehen des Entstehungs- und Gestaltungsprozesses unternimmt, lässt erahnen, dass es der Künstlerin nicht allein um das Endresultat geht, sondern der Weg dorthin gewissermaßen bereits ein Etappenziel darstellt.

Aber es geht ihr auch um das eigene Betrachten ihrer Arbeiten. Sie wählt dazu das Auge der Kamera. Das Ergebnis sind Makroaufnahmen, die einen anderen Blickwinkel auf ihre Werke ermöglichen. Es ist, als ob man die Werke mit Hilfe einer Lupe betrachten würde. Die Fotografien fokussieren und schulen unseren Blick. Das Fotografieren der Werke durch ihre Schöpferin ist zugleich auch eine Reflexion der eigenen Arbeit. Es offenbart das Bestreben, das eigene Werk nicht nur zu erschaffen und den Blicken der Welt zu überlassen, sondern stellt zugleich auch den Versuch dar, die eigenen Arbeiten weniger subjektiv zu sehen, indem sie sie durch ein Objektiv betrachtet. Dabei wählt sie zwangsläufig besondere Ansichten mit der Intention, Details und Blickwinkel, die ihr besonders betrachtungswürdig erscheinen, hervorzuheben, zu vergrößern und zu betonen.

Gleichzeitig entsteht durch die Makroaufnahmen nicht nur eine Meta-Ebene auf die Primär-Arbeiten sondern neue Werke an sich. Denn die Makroaufnahmen besitzen einen hohen ästhetischen Reiz und verfremden die abgebildeten Objekte. Auch hier begegnen sich wieder Phänomene wie Gegenständlichkeit und Abstraktion, Form und Formlosigkeit und letztendlich Sichtbares und Transzendentes.

Die meisten Werke bestehen aus vielen Schichten, die sich aus Gesteinsmehlen, Acryl, Wachs, Stoff, Papier oder Fotografien zusammensetzen können. Als Bildgrund dient dabei meistens ein Keilrahmen, auf den eine Leinwand gespannt ist. Die Fadenobjekteder Reihe „Nester“, die ihren natürlichen Vorbildern sehr nah kommen, wecken Assoziationen an zerteiltes Gewebe, offene und zugenähte Wunden, Münder oder Narben. Einige Nester vermitteln auch ein Gefühl von Geborgenheit.
Werktitel wie „Überkreuz“, „Lebenswege“, „Fäden der Vergangenheit“, „Verbundenheit“ oder „Kreuzungen“ lassen den Schluss zu, dass für Melanie Becker-Hoffmann die Fäden auch eine metaphorische Bedeutung besitzen. Auch hat die Künstlerin Spaß an Wortzusammensetzungen wie Fadenstärke, Bindfaden, Fadenspiel, Geduldsfaden, Fadenkreuz und Schicksalsfaden. Somit lassen sich die Fadengewebe ihrer Bilder auch als ein Sinnbild des Lebens begreifen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, den Faden zu verlieren und wieder aufzunehmen oder zwei zerrissene Enden erneut zu verbinden. Ein wirklichkeitsnäheres und hoffnungsvolleres Lebensbild lässt sich kaum ersinnen.

Auszug aus der Einführung zur Ausstellung „Melanie Becker-Hoffmann – drunter und drüber“, Kunst Raum Hof Scheer, Lippstadt 2020
Dr. Jutta Desel | Kunsthistorikerin und stellvertretende Leiterin des Museums Abtei Liesborn

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„Es braucht Zeit, bis alles im Kopf gereift ist“

Die Künstlerin Melanie Becker-Hoffmann

Melanie Becker-Hoffmann lebt seit 2018 in Lippstadt. Sie ist verheiratet und hat zwei Söhne.
Seit 1996 ist sie freiberuflich tätig.
Sie arbeitete als Glaserin im Bereich der Glasrestaurierung und betreute über mehrere Jahre eine Sparkasse
in Brandenburg im Bereich Kunstausstellungen und Kunstankäufe.
Seit 2013 ist sie als Künstlermitglied im Kreiskunstverein Beckum-Warendorf e.V. vertreten und hat 2019 die
Geschäftsführung des Vereins übernommen.
Auftragsarbeiten befinden sich in Privat- und Geschäftsräumen, sowie im Land Brandenburg im öffentlichen Raum.

Portrait Melanie Becker-Hoffmann von Marion Heier | Der Patriot 2021 als PDF

www.kreiskunstverein-beckum-warendorf.de

 

Wettbewerbe und Präsentationen

1999 und 2002 – 1. Platz beim Kreiswettbewerb Dahme-Spreewald
2001 – 1. Platz Außengestaltung einer Turnhalle in Eichwalde
seit 1996 Präsentation der Arbeiten in mehreren Einzel- und Gruppenausstellungen in NRW und Brandenburg